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Steiermark
Auf Wunsch der Redaktion werden in der folgenden Kolumne ausschließlich steirische Angelegenheiten behandelt. Und nachdem in der Abkürzung 'kig' auch der Begriff 'Kultur' vorkommt, nehmen wir die auch noch mit. Vergessen haben sie bei der Auftragsverteilung, speziell von Graz zu sprechen, obwohl es auch in 'kig' vorkommt, das bedeutet, dass wir uns den wirklich wichtigen Dingen widmen können. Was sollte man denn auch von Graz wirklich schreiben können, wenn man da nicht lebt? Hinlänglich bekannt ist, dass in der Steiermark ein paar Dinge verkehrt laufen: Das Land ist rot, blass rot oder eher schwarzrot vielleicht, die Hauptstadt schwarz, so weit, so merkwürdig, vor allem für die Steiermark. In Bayern, wo bis vor kurzer Zeit etwa 60% der Bevölkerung die CSU meinten, wenn sie von 'wir' sprachen, ist die Hauptstadt fest in roter Hand. Das muss man nicht als Kompliment sehen oder als Besonderheit, das sind auch keine Schmeicheleien an sozialdemokratische Parteien, die ja allesamt röcheln und kaum ansprechbar sind. Aber die Offenheit ist schon noch ein bisschen weniger angegriffen, um es vorsichtig zu formulieren, richtig aktiv und offensiv ist die Offenheit neuen Dingen gegenüber wiederum nicht, zu viele Wählerstimmen könnten verloren gehen. Die können passiv auch verloren werden, also warum sich dafür noch anstrengen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Farbwechsel vor ein paar Jahren in den Augen einiger Kollegen der bisher abonnierten Regierungspartei, die aus der Ära von Vater und Sohn Krainer nie wirklich herausgefunden hat, kein demokratisches Wahlergebnis war, sondern ein bürokratischer Irrtum. Erst langsam ist es durchgesickert, dass diese Wahl verloren wurde. Die Verzweiflung beim Realisieren dieser Tatsache war beeindruckend zu beobachten.
Sprechen wir also von einer Metropole, die die steirische Landesgeschichte im Kleinformat deutlicher nicht widerspiegeln könnte. Die Steiermark wurde zum Beispiel von 1948 an bis knapp vor der Jahrtausendwende insgesamt 38 Jahre lang von den oben erwähnten zwei miteinander eng verwandten Herren regiert. Ähnlich verhielt es sich mit den Bürgermeistern in Bad Radkersburg, beinahe parallel dazu. Womit wir auch schon in der erwähnten Metropole angekommen sind. Früher war es wirklich einmal eine Metropole, geografisch günstig gelegen, führten viele Wege hier vorbei. Heute erinnert es ein wenig an Mecklenburg-Vorpommern. Metternich meinte ja, im Falle eines Weltuntergangs dorthin zu gehen, weil dort alles zwei Jahre später passiert. Manches passiert aber sogar früher als in der Landeshauptstadt, man höre und staune. In Bad Radkersburg wurde im Laufe des letzten Jahres das ehemalige Zollamt in ein offenes Haus für Kunst und Kultur umgewandelt. Eine Vertreterin des steirischen Herbstes hat dieses Haus besucht, da sich für die Thematik ein ehemaliges Zollamt als Quartier bzw. Veranstaltungsort eignen würde, und Interesse bekundet. Und siehe da, das Hauptquartier des heurigen Herbstes liegt ums Ex-Zollamt. In Graz natürlich. Im Grazer Ex-Zollamt. Das Interesse für Radkersburg scheint abgenommen zu haben, weil sie möglicherweise die Wegbeschreibung da herunter verloren haben, was aber in Ordnung ist - hier ist das Zollamt ja schon längst wiedereröffnet und in Betrieb, in diesem Falle also ist Graz unser eigenes Mecklenburg-Vorpommern, könnte man sagen. Kann man also getrost nach Graz marschieren im Herbst und dort möglicherweise eine große, mehrwöchige Zeitlupenwiederholung der gesamtsteirischen und sonstigen Geschehnisse der letzten Jahre betrachten, wer weiß.
Politisch gibt es zwischen den beiden Städten – jawohl, Bad Radkersburg hat Stadtstatus – auch Parallelen. Zwar befindet sich Graz nicht an einer Grenze, wo der Nationalsozialismus traditionell auf fruchtbaren Boden stieß, hat es aber trotzdem geschafft, ihn hochleben zu lassen und trägt nun den Namen 'Stadt der Volkserhebung'. Mit ein wenig mehr Selbstachtung würde der Uhrturmschatten noch am Schlossberg stehen anstatt vor einer Einkaufshölle zeitweise sogar mit bunten Dingern behübscht die Unfähigkeit zur Annahme und schnörkellosen Betrachtung der Geschichte am Silbertablett zu präsentieren. Beide Städte werden von der selben Partei regiert.
Regional gibt es weniger Parallelen. Den Bezirk Radkersburg gibt es nicht mehr. Ausgelöscht. Feldbach jetzt. Das hat einigen sehr weh getan. Wo die Einsparungsmöglichkeiten tatsächlich versteckt sind, hat noch niemand schlüssig erklären können, aber wahrscheinlich würden manche sowieso lieber sogar Bezirke privatisieren als fusionieren, warum denn auch nicht? Bezirk Strohsack zum Beispiel. Das könnte interessante Situationen ergeben, wenn nämlich ein ehemals öffentlicher Raum quasi nach einer Privatisierung kracht und schließlich wieder vom Staat aufgefangen werden müsste. Radkersburg dann wieder. Strohsack kann sich bekanntlich vorstellen, die Eisenbahn zu übernehmen. Maggie Thatcher hat auch die Eisenbahn privatisiert, die dann sehr schnell gerostet ist, ein paar andere Dinge auch. Und Thatcher ist, wie wir wissen, schon ein großes Vorbild für einige Kollegen unserer beiden Bürgermeister. Die Eisenbahn ist ein Dauerthema hier unten in der Südoststeiermark. 2018 soll die Südbahn, die von Spielfeld bis Radkersburg reicht, geschlossen werden, so lautet eine Drohung der letzten Jahre. Ein sehr intelligentes Zeichen, was den Umgang mit Individualverkehr, Ökologie und nachhaltiger Verkehrspolitik insgesamt betrifft. Aber es gibt Widerstand dagegen, und dazu noch den Vorschlag, die Eisenbahn wieder über die Mur zu bringen und einen Anschluss an den Osten zu bewerkstelligen. Das will in einige Köpfe so gar nicht hinein. Das hübsche Geschäft mit viel Alkohol und billigen Zigaretten kann man zu Fuss, mit Fahrrad oder Auto erreichen, brauchen wir ja keinen Zug dorthin, und außerdem leben dort ja doch Ausländer. Das Ausland beschränkt sich für sehr viele Menschen auf solche Geschäfte. Die wünschen sich auch sofort wieder Grenzkontrollen, das ist keine Vermutung, das habe ich oft schon gehört. Genau von denen, die gerade eine Stange Zigaretten gekauft haben. Ich vermute, dass die sich ein wenig unwohl fühlen, wenn sie gerade dort sind, und erleichtert, wenn die rotweißrote Flagge wieder weht.
Die Eisenbahn ist außerdem auch wichtig, um die Strecke Graz – Spielfeld unbeschädigt überstehen zu können. Ein einziges Mal habe ich als Beifahrer im Auto diese Strecke über die Bundesstraße erfahren müssen, im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist mir hinterher sehr schlecht gegangen. Viel schlimmer kann man einen so langen Landstrich gar nicht kaputtmachen, es gleicht einer landschaftlichen Hinrichtung, was diese Straße entlang stattfindet. Man wird von einem Dorf übergangslos ins nächste gespült. Es ist besser, mit dem Zug zu fahren, da sieht man zwar in Abschnitten die Katastrophe ebenso, aber man muss nicht selbst fahren, kann die Augen zu machen und hoffen, dass es schnell vorbeigeht.
Was das Kunst- und Kulturverständnis von Graz in Bezug auf den Rest der Steiermark betrifft, erinnere ich eine sehr einprägsame Momentaufnahme bei der Eröffnung der ersten Regionale 2008 in Feldbach, bei der ein Musikschaffender, dessen Namen ich nicht mehr weiß, erzählte, dass er durch die Südoststeiermark gefahren wäre und dort Chöre und auch andere Musikschaffende gefunden hätte, die wirklich was drauf hätten, was ihn total erstaunt habe. Dem Wortlaut nach und dem Tonfall entsprechend hat ihn wahrscheinlich auch erstaunt, dass er mobil telefonieren konnte und die Menschen dort bereits mit Besteck gegessen haben. Viel Dümmeres habe ich, was eine städtische Einschätzung einer ruralen Bevölkerung betrifft, vorher noch nicht gehört, und dennoch hat es mich nicht überrascht, da ich bereits zehn Jahre in Graz verbracht habe. Gleichzeitig stellt sich nämlich die Frage, was Graz ohne die Reststeirer und auch Menschen von anderen Ländern sein könnte. Genauso wie sich die Frage stellt, was Großstädte ohne Migranten wären, vielleicht spricht es sich einmal durch, dass es in der Natur von größeren und Großstädten liegt, interkulturell zu sein. Vielleicht sollte Graz seine Peripherie ein wenig genauer betrachten und aufgrund dieser geografischen Verhältnisse erkennen, wie die Lage tatsächlich ist. Es gibt keine klaren Grenzen zwischen Stadt und Land, das geht sich nicht aus, dafür ist die Landeshauptstadt einfach zu klein, und das ist ja auch ok so, Graz! Veranstalte weiterhin einmal im Jahr ein Aufsteirern, damit niemals vergessen wird, wie das echte Leben ist. Wir kommen ja trotzdem gerne gelegentlich zu Dir. Wenn wir wirklich Stadt brauchen, legen wir eine Stunde drauf oder zwei und fahren nach Wien.
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